Ich frage mich ja, ob Personen, die einen Hannoveraner reiten, unbedingt einmal in ihrem Leben nach Hannover fahren wollen. Menschen mit Haflingern nach Hafling in Südtirol müssen? Fahren Besitzer und Besitzerinnen von Shetlandponies auf die Shetlandinseln? Haben sie dieses Bedürfnis? Ehrlicherweise weiß ich das nicht.
Ich weiß nur, dass wir Islandpferdereiter*innen einen besonderen Zug nach Island haben. Natürlich nicht alle (mit Generalisierungen muss man ja bekanntlich sehr aufpassen) – aber doch viele, die ich kenne. Viele träumen oder erfüllen sich den Traum einer Islandreise, eines Strandrittes, einer Hochlandtour. Oder auch einer Fotoreise oder eines Städtetrips nach Reykjavík. Reiten oder wandern zwischen moosbewachsenem Vulkangestein und blau-schwarz-schimmernden Gletscherzungen. Ski-doo, Höhlenwanderungen. Baden in Hotpots, in der freien Natur oder auch an „gezähmten“ Orten wie dem Geosea bei Húsavík oder in den dunklen, warmen Becken von Hvammsvík. Manche, ganz besonders glückliche, holen sich sogar ein Pferd von der Insel.
Pastellfarbiges Licht, die frische (oft sehr kalte) isländische Luft weht einem um die Nase. Die Farben Islands. Frischer Fisch und skýr, rúnnstykki oder snúður in der bakarí? Und wohin du schaust, immer wieder Herden von Islandpferden mit allen möglichen Fellfärbungen, die sich vollkommen in die Farben der Landschaft einfügen.
Anfang der Woche bin ich heimgekommen von einer kurzen Zeit in Reykjavík und meine Eindrücke sind noch ganz frisch. Ich spüre jetzt noch den kalten Wind, das Meer, die Musik des Air Waves Festivals in Reykjavik, die Coversongs der Bookstore-Band, zu denen wir getanzt haben, das dunkle Licht des Lobster-Lokals in Stokkseyri, den Markt mit liebevollen Handarbeiten und auf der Insel gestrickten Islandpullovern (ich konnte einfach nicht widerstehen). Kalt und grau war es auch in Island, aber irgendwie anders als hierzulande.
Wir saßen beim gemütlichen Abendessen und ich habe das Thema der durch die Pferde ausgelösten Islandliebe angesprochen. „Naja, es ist halt das „El Dorado“ der Islandpferdefreunde hier“, hat Christine, verantwortlich für den Reitbetrieb in Skálakot, lächelnd gemutmaßt. Ja, das kann schon sein. Das ist bestimmt so.
Für mich ist Island mehr als die Herkunft der Pferde. Es ist die Bewunderung der verzaubernden Schönheit der Landschaft, die sich abwechselt mit der Erleichterung, nicht selbst unter diesen rauen Bedingungen zu leben. Es sind die Dunkelheit und das Licht. Es sind die Wärme und die Kälte. Das Alte und das Moderne. Island ist voller Widersprüche und dadurch voller Spannung.
Die Pferde stehen an den Zäunen im schummrigen Novembernebel. Ihr Anblick fasziniert mich und lässt mich an meine Pferde in Österreich denken. Dass auch sie mal hier gelebt haben und diese Insel ganz tief in sich tragen. Ein Stück dieser Insel steckt in meinen Pferden und hat ihr Wesen geprägt. Ich glaube das ist der Grund, warum Islandpferdefreunde wie ich so gerne nach Island kommen. Sie sind auf der Suche nach der Seele ihrer Pferde.
Soviel zu meiner Theorie. Wäre neugierig, eure Meinungen zu hören. Ich werde mir jetzt aber kein Shetlandpony kaufen, um diese Theorie zu bestätigen. Vielleicht im nächsten Leben 🙂 .
Dieser Text wäre Teil einer Kolumne für die Zeitschrift iiö. Ich habe am Tag vor der Abgabe des Textes erfahren, dass es leider keine Kolumne mehr geben wird. Weil ich aber weiterhin gerne meine Gedanken aufschreibe, veröffentliche ich sie einfach hier. Ich freue mich auch in Zukunft über eure Rückmeldungen und bedanke mich auf diesem Weg bei allen, die über viele Jahre meine Kolumne gelesen haben.