Nimm dir Zeit, dein Pferd zu beobachten

In meiner Serie über VIPs – Very Icelandic People – stelle ich euch heute einen ganz besonderen Pferdemenschen vor. Ich habe die junge Frau vor zirka 2 Jahren zum ersten Mal gesehen und sie hat gesiegt. Vanessa Kirchmayr ist eine rundum liebenswerte Person. Aber nicht nur das. Sie ist auch ein Pferdemensch durch und durch. Mit viel Ruhe und Geduld. Mit Klugheit. Mit viel Erfahrung. Ich habe ihren Unterricht beobachtet und war begeistert. Da wollte ich mehr über sie erfahren – und hab sie deshalb vor einiger Zeit angerufen.

miia: Liebe Vanessa, ich freue mich echt, deine Stimme zu hören. Kannst du mir bitte erst mal etwas über dich und dein Leben erzählen?

Vanessa: Klar! Ich bin 28 Jahre alt, lebe und arbeite in Wien, ich komme aber aus dem Mostviertel. Ich bin in Weistrach aufgewachsen, am Gut Pöllndorf. Wie mein Name verrät, bin ich mit Hannes Kirchmayr verwandt, er ist der Cousin meiner Mutter. Meiner Mama habe ich es zu verdanken, dass ich schon sehr früh Kontakt zu Pferden hatte. Sie hat nämlich viel mit Pferden gearbeitet und heute sehe ich es als ein echtes Privileg, eine Reitlehrerin als Mutter zu haben. Da hatte ich echt viel Glück. Ich war von klein auf im Reitstall. Ich glaube, ich konnte reiten, bevor ich gelaufen bin (lacht).  Als kleines Kind hat mich meine Mutter zum ersten Mal für 18 Monate nach Island gebracht. Sie hat dort gearbeitet und mich überall hin mit genommen. Damals habe ich ein Fohlen bekommen. Þristur frá Hrafnkelsstöðum. Er ist aber, als wir wieder nach Österreich zurückgegangen sind, in Island geblieben – vorerst.

miia: Vorerst?

Vanessa: Ja, denn 2002, ich war 11 Jahre alt, ist er als Weihnachtsüberraschung zu mir nach Österreich gekommen. Ich erinnere mich noch ganz genau. Am 24. Dezember war seine Box wie ein Paket hergerichtet, auf dem Schild stand schon sein Name. Aber ich hab das alles zuerst nicht gesehen. Einige Menschen sind um mich herum gestanden und haben mich erwartungsvoll angeschaut  – und ich hab mich überhaupt nicht ausgekannt! Erst später habe ich das Schild gesehen – und dann ihn. Endlich war Þristur da. Das war echt ein Gänsehaut – Moment damals. Ich war so froh. Ich hatte ihn in der Zwischenzeit immer wieder mal in Island besucht, aber es war schon etwas anderes, ihn bei mir zu haben.

miia: Wie ist es mit Þristur weitergegangen?

Vanessa: Mama ist ihn eingeritten und ich hab zum ersten Mal Jungpferdearbeit ganz genau beobachtet. Ich habe meiner Mutter zugeschaut und ihr dabei geholfen. Für mich war klar, ich wollte die erste sein, die auf Þristur sitzen würde. So war es dann auch! Er war ein sehr kleines Pferd, etwas pummelig war er damals und hatte einen super Charakter. Keiner konnte wissen, dass er sich so gut entwickeln würde. Wir haben dann unsere ersten Turniere bestritten. Er war super im Tölt, 2007 waren wir recht erfolgreich. Das habe ich Anne Kegelmann zu verdanken, die sich um Þristur und mich angenommen hat. Wir sind damals Staats- und Landesmeister geworden im Tölt und Viergang. 2008 war ich noch mal im Jugendkader.

miia: Und dann?

Vanessa: Und dann kam die Entscheidung, vor der wohl jeder junge Turnierreiter früher oder später steht. Ich hätte mich dafür entscheiden müssen, Þristur herzugeben und ein neues Pferd zu kaufen, mit dem „ich mich weiterentwickeln konnte“, wie man so sagt. Ich hab mich gegen einen Verkauf entschieden. Ich wollte Þristur behalten. Ich wusste, in diesem Pferd steckt so viel Besonderes. Siege bei Turnieren waren nicht relevant, wenn ich dafür Þristur hätte hergeben müssen. Also habe ich meine Turnierlaufbahn beendet und stattdessen den Übungsleiter mit Þristur gemacht.

miia: Lebt Þristur heute noch?

Vanessa: Ja! Er ist heute 25 Jahre alt und lebt am Gestüt Hollerbach. Meine Mutter kümmert sich um ihn.

miia: Wie ging es mit dir dann weiter?

Vanessa: 2011 habe ich maturiert und für mich war klar – nach der Matura geht es nach Island. Ich hatte fest vor, mein Isländisch, das ja noch in meinem Gehirn vergraben war, wieder aufzufrischen und Zeit mit meiner alten Kindheitsfreundin zu verbringen. Aber ich hatte noch mehr vor! Ich wollte sparen, um meine Ausbildung an der Universität in Hólar in Island zu finanzieren. Also habe ich an isländischen Pferdehöfen gearbeitet. Es war eine wunderbare Zeit. Zuerst war ich im Westen der Insel, dann bin ich in den Osten gegangen. Es war dort eine traumhafte Kulisse und es gab super Pferde. Wir sind tagelang am Strand geritten und ich habe richtig viel gelernt. Alles – nur nicht Isländisch! Omar, bei dem ich gearbeitet habe, konnte Deutsch und so habe ich leider wenig Isländisch gesprochen. Das hätte ich aber ganz dringend für Hólar gebraucht! Im Sommer 2012, dem Zeitpunkt meines Aufnahmetests, konnte ich immer noch nicht Isländisch. Ich hatte aber Glück und wurde trotzdem aufgenommen. Man gab mir damals zwei Monate Zeit, es zu lernen. Bis zum Schulanfang sollte ich Isländisch sprechen können.

miia: Zwei Monate klingt nach sehr wenig Zeit …

Vanessa: Ja, das war sehr knapp. Am Anfang haben mir Lehrer und Mitschüler auf Englisch geholfen, aber nach Weihnachten kam der Zeitpunkt, an dem ich isländische Kinder unterrichten sollte und da hat das mit Englisch ganz schnell aufgehört 🙂 ! So habe ich dann ganz schnell Isländisch gelernt.

miia: Wie lange bist du dann in Hólar geblieben?

Vanessa: Ich habe zwei Jahre dort gelernt und mein Diplom gemacht. Ich wollte dann ein Jahr wieder auf Höfen arbeiten, weil ich für das dritte Jahr in Hólar unbedingt Geld verdienen musste. Das dritte Jahr ist sehr teuer und du musst ein besonders gutes Pferd mitbringen zur Uni. Also wollte ich dafür arbeiten. Ich bin zu Karin Lindal gekommen, zum Gestüt Vestri Leirárgarda. Ich hatte dort eine super Zeit. Für mich war damals fix, ich würde für immer und ewig in Island bleiben. Ich hatte es schon meiner Mutter gesagt. Und dann …

miia: Und dann?

Vanessa: Eine Woche später hatte ich einen schweren Autounfall. Mir ist zum Glück nichts Ärgeres passiert, aber ich musste all mein Erspartes verwenden, um den Schaden am Auto zu bezahlen. Hólar ist damals mit einem Schlag in weite Ferne gerückt.

miia: Wie ging es weiter?

Vanessa: Der Unfall hat mir gezeigt, dass ich noch eine weitere Ausbildung machen wollte. Ich wusste das schon davor, aber dann wurde mir ganz klar, dass noch andere Dinge im Leben wichtig sind. Ausschließlich vom Reiten leben zu wollen, ist sehr riskant. Ich hatte und habe viele Interessen und nur ein Leben. Ich wollte also noch etwas anderes lernen. Und so bin ich wieder nach Österreich zurückgegangen, um eine weitere Ausbildung anzufangen. Mit Pferden wollte ich aber nebenberuflich weiter arbeiten.

miia: Wie war es, als du nach so langer Zeit heimgekommen bist?

Vanessa: Naja, da waren meine 4 kleinen Geschwister! Bei unserem Wiedersehen habe ich bemerkt, wie viel ich sie vermisst hatte. Ich habe gemerkt, dass ich in Österreich zu Hause bin, Island aber immer meine zweite Heimat bleiben würde. Das hat sich bis heute nicht geändert. Wenn ich nach Island fliege, ist es mehr wie nach Hause fahren. Es ist nicht wie Urlaub. Es ist heimkommen.

miia: Was hast du dann in Österreich gemacht?

Vanessa: Ich habe ein Jahr in Graz bei einer Versicherung gearbeitet und nebenbei bin ich am Islandpferdegestüt in Semriach ein paar Jungpferde eingeritten. Danach habe ich in Wien meine Ausbildung zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert und arbeite jetzt als Säuglingsschwester in der Privatklinik Döbling.

miia: Aber die Pferde hast du trotzdem nicht aufgegeben, richtig?

Vanessa: Richtig! Ich unterrichte als mobile Reitlehrerin in der Nähe von Wien, wenn es meine Zeit zulässt. Und ich bereite Jungpferde. Derzeit ist mir eine 5-jährige Tochter eines Töltweltmeisters anvertraut. Straumdis, ein superspannendes Jungpferd.

miia: Was ist für dich das Wichtigste im Umgang mit Pferden?

Vanessa: Für mich geht es immer um die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd. Es ist mir ein großes Anliegen, das zu vermitteln und Mittel und Wege zu finden, wie man diese Kommunikation verbessern könnte. Probleme gibt es immer dann, wenn genau in diesem Punkt etwas nicht stimmt. Das zweite, was mir sehr wichtig ist, ist Vertrauen. Vertrauen in beide Richtungen. Das Pferd muss dem Reiter vertrauen. Aber auch umgekehrt. Der Reiter muss dem Pferd vertrauen. Und noch ein wichtiger Punkt: Reiten soll Freude und Spaß machen! Wenn ein K(r)ampf dabei ist, stimmt etwas nicht. Das Pferd ist ein Lebewesen und die Arbeit mit ihm soll einfach nur Freude machen. Reiten ist wie ein Tanz von Reiter und Pferd, bei dem Körpersprache und Kommunikation das Wichtigste sind. Das versuche ich meinen Schülern weiterzugeben.

miia: Welche Altersgruppe unterrichtest du am liebsten?

Vanessa: Das kann ich gar nicht sagen. Alle Altersgruppen haben interessante Aspekte. Mir ist nur wichtig, dass meine Schüler gerne reiten. Dass sie lernen wollen. Es gibt für einen Reitlehrer nichts Schlimmeres, als wenn man beobachtet, dass ein Kind überhaupt keinen Spaß am Pferd hat. Oder es herrschen Druck und Zwang und Verbissenheit. Auch das macht niemandem Spaß. Ich glaube, man muss für jede Altersgruppe kreativ sein beim Unterrichten, Abwechslung tut allen gut.

Photo by Jutta Kügerl

miia: Was rätst du den Reitern jetzt, die vielleicht nicht so oft oder lange zu ihrem Pferd fahren können?

Vanessa: Ich rate allen, der Kreativität ihren Lauf zu lassen, wenn es darum geht zu überlegen, wie man mit dem eigenen Pferd vom Boden aus arbeiten kann. Man kann bekanntlich Pferde nicht nur reiten! Man kann mit ihnen spielen, Lektionen üben, Bodenarbeit machen, sie gymnastizieren. Auch kann man vom Boden das Zusammenspiel der Hilfen und auch die Kommunikation trainieren. Gerade bei der Bodenarbeit beginnt alles mit der klaren Körpersprache. Das kann man dann auch später am Pferderücken gut brauchen. Man kann sich jetzt endlich mal Zeit nehmen, sein Pferd aufmerksam und lange zu beobachten. Es ist erstaunlich, wie viel man dabei lernen kann.  

miia: Danke, liebe Vanessa, für dieses Interview.

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