Oder auch: Martinas Ausreit-Ding mit Logbuch und 5 Tipps nach Selbsterfahrung. Ich übergebe an Martina Wanis:
Wir hatten vor einigen Wochen Besuch. Und wie das mit nettem Besuch nach einem Umzug so ist, wurde nach unser aller Befinden gefragt. Vor allem nach dem Pferd wurde sich erkundigt. So ist es doch im Gegensatz zu Terrier Fidel eher ein sensibleres Pflänzchen. Also habe ich von Krafla aka dem Gürkchen berichtet. Dass der neue Stall super bei ihr ankommen würde, die Integration toll verlaufe und dass sie die erste Woche, die sie die Nacht auf der Weide verbracht hat, primär wild um die grasenden Pferde galoppiert ist, die sich sicher über den etwas irren Neuzugang gewundert haben.
Bei dieser Geschichte sieht der Besuch zuerst mich dann Fidel, der gerade völlig überdreht und ausgesprochen unkontrolliert Kreise um uns zieht, an und sagt: „Irgendwie sind sich deine Tiere sehr ähnlich.“ Ähnlich?
Das Gürkchen und Fidel?! Auf diese Idee bin ich irgendwie noch nicht gekommen. Stimmt das denn? Womöglich verstehen beide meine Aufforderungen mehr als überlegungswürdige Vorschläge, denen man nachkommen kann oder auch nicht. Möglicherweise verbindet beide auch die grenzenlose Liebe zu Futter (was zu diversesten Brot-Klau Aktionen von beiden Seiten geführt hat). Aber wirklich ähnlich?
„Findest du? Wieso?“ frage ich also sicherheitshalber nach.
„Naja sie sind beide irgendwie … so viel.“
„So viel?“
„Naja so viel von allem… Wenn du zum Beispiel Fidel sagst, dass ihr spazieren geht. Jeder Hund freut sich da aber bei Fidel ist es halt… extrem viel Freude!“
Darüber denke ich dann kurz nach. Ich weiß, was sie mit „extrem viel Freude“ meint und finde diese Umschreibung ausgesprochen schmeichelhaft, manch einer möchte sagen untertrieben. Wenn Fidel erfährt, dass er mit raus darf flippt er aus. Dabei ist es völlig egal, ob er seit Tagen eingesperrt war oder gerade erst vor fünf Minuten von einer Wanderung zurück gekommen ist (ich glaube immer noch, dass sein Kurzzeitgedächtnis etwas … sagen wir eingeschränkt ist). Einfach nur totale Eskalation.
Leider lässt die totale Freudeneskalation nicht sonderlich nach, wenn wir bei der Tür draußen sind. Daher sieht es auch meist so aus, als würde ich von einem etwas zu klein und blond geratenen Husky mit O-Beinen durch die Gegend geschleift werden. Dabei wirft er mir gelegentlich fröhlich – irre Blicke über die Schulter zurück, um sicherzugehen, dass ich A) noch dran hänge und B) genauso viel Spaß habe wie er. Vermutlich meint er, meine verzweifelten FIIIDEEEL BERUHIG DICH!!! LANGSAMER!!! – Rufe wären eher gutgemeinte Motivations/Anfeuerungsrufe, noch etwas schneller zu laufen. Und bei dem Gedanken daran erkenne ich es … Oh Gott… sie sind seelenverwandt. Also der Hund und das Pferd.
Mit dem Gürkchen gestaltet sich das Ausreiten in die schöne Natur nämlich so, dass ich zwar nicht hinten dran hänge, aber oben drauf und dort im Zügel. Unser erster gemeinsamer Ausritt hat darin geendet, dass das Pferd schweißnass und ich mit zitternden Oberarmen zurück gekommen sind. Das Gürkchen hält nämlich leider nicht so viel von Schritt im Gelände. Bevorzugte Gangarten wären Renngalopp oder Rennpass, meine wiederum Schritt. Der wütende Kompromiss beiderseits resultiert dann meist in hysterischem beinah piaffenähnlichem Tölt.
Glücklich macht uns das beide nicht. Und fertig sind wir danach auch beide. Und besonders stolz bin ich darauf auch nicht … das Stütchen vielleicht schon, das kann ich nicht genau eruieren. Irgendwie fühlt man sich dann doch ein bisschen wie ein Versager. Jemand der sein eigenes Pferd nicht entspannt im Gelände reiten kann.
Das Schräge am Gürkchen ist nur, dass sie kein ängstliches Pferd ist und wenn man sie als Handpferd (egal ob mit anderem Pferd oder mit dem Fahrrad) dabei hat, ist alles entspannt. Aber kaum sitzt man als Reiter oben, wird ein Ausritt zu einer Achterbahnfahrt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Zügel seit jeher das Gas bei diesem Pferd war. Zügel annehmen ist gleichzusetzen mit schneller werden. In der Halle oder der Bahn lässt sich das ganz leicht über die Atmung lösen. Einfach mal ausatmen und wir werden langsamer, ohne irgendwas am Zügel zu tun. Im Gelände könnte ich mich allerdings zu Tode atmen … da ist das Tier unempfänglich für meine Yogaübungen am Pferd.
Weil das so war, habe ich immer abgewunken, wenn jemand gemeinsam ausreiten gehen wollte. Allerdings wurde das neuerdings nicht mehr akzeptiert. Auf meine Schilderungen, wie das Pferd denn draußen so sei, habe ich nur ein Lächeln und den Satz „Ach das krieg ma schon hin“! geerntet. Und dann wurde mit uns begonnen, das wieder hinzukriegen.
Die Ereignisse hierzu möchte ich gerne in Logbuchform wiedergeben:
Logbucheintrag 1.0
Uns wurde unter dem Zaumzeug ein Knotenhalfter umgeschnallt … allerdings ohne Strick dran. Reiten jetzt los.
Logbucheintrag 1.1
Die ersten hundert Meter vom Stall weg gehen bergab. Wir kommen aus der Ebene … bergab ist verstörend. Gürkchen versucht „bergab“ mit dem Zulegen von Geschwindigkeit zu kompensieren. Alles sehr unkontrolliert.
Logbucheintrag 1.2
Wurden an besagtes Knotenhalfter angeschnallt. Mitbremsen mit Zügel momentan unterbunden. Gürkchen wird von sehr tapferem Begleitpferd und dem Knotenhalfter gebremst.
Logbucheintrag 1.3
Nach nur 5 Minuten hat sich das Gürkchen der stoischen Gelassenheit des Begleitpferdes ergeben und trottet im Führpferd-Modus nebenher. Zügelkontakt meinerseits wird immer noch unterlassen.
Logbucheintrag 1.4
Voller Wagemut haben wir uns quasi als Lastpferd (wobei ich die Last bin) in so etwas wie alpines Gelände begeben. Das Gürkchen stapft fleißig bergauf und bergab. Immer wenn an Geschwindigkeit zugelegt wird, bremst das Knotenhalfter.
Logbucheintrag 1.5
Kommen heil und glücklich zuhause an. Wohlgemerkt zum ersten Mal nicht nassgeschwitzt.
Logbucheitrag 2.0
Werden dieses Mal gleich von Beginn an angeschnallt. Allerdings darf ich heute aktiv mitreiten. Sprich die Zügel kommen wieder zum Einsatz und das Knotenhalfter dient nur noch als Exit – Plan.
Logbucheintrag 2.1
Pferd total entspannt. Abgesehen vom Kennenlernen der „Blumen des Todes“, welche vor einem Haus befindlich das Vorbeigehen nur unter extremen Prusten und Blasen möglich macht (Krafla ist anscheinend abgehärtet gegen landwirtschaftliche Maschinen und Bewässerungsanlagen aller Art, aber Blumen sind unerträglich).
Logbucheintrag 2.2
Kommen nach einer weiteren Runde im Schritt wieder total entspannt an.
Logbucheintrag 3.0
Reiten wieder am Strick los. Ich gewöhne mich an das Führpony-Dasein und finde es herrlich.
Logbucheitrag 3.1
Werde nach einigen hundert Meter kommentarlos abgeleint. Bin verwirrt. Das Gürkchen ist sich anscheinend nicht darüber im Klaren, dass es leinenlos ist und stapft weiter in bekannter Führpferd-Position durch die südsteirische Hochebene.
Logbucheintrag 3.2
Kommen wieder in höchst entspannter Wohlfühl-Laune nach Hause. Fühle mich total siegreich!
Logbucheintrag 4.0
Reiten wieder angeleint los. Höhere Gangarten werden ausprobiert. Trabe am langen Zügel über den Bergkamm (aka Hügel). Das Leben ist herrlich.
Logbuch 4.1.
Werden wieder abgeleint. Trotten entspannt durch die Gegend.
Logbuch 4.2.
Hatten einen Rückschlag. Es begann sehr harmlos. Das Gürkchen musste Pipi. Also wurde die Pipiposition eingenommen und losgestrullert. Natürlich mitten auf der Straße (da zahlt sich die Bewässerung wenigstens aus). Womit das Gürkchen allerdings nicht gerechnet hat ist, dass es im alpinen Gelände aufgrund diverser Schräglagen zu Flüssigkeitsbewegungen kommen kann. Als sie das Pipi quasi tsunamiartig überholt, entsteht große Panik. Eine Volte am Berg hat das Ganze allerdings wieder halbwegs beruhigt. Heimritt musste dennoch wieder am Knotenhalfter erfolgen.
Logbuch 5.0
Reiten wieder los. Sind wieder am Strick. Galoppieren. Dank Knotenhalfterbremsung alles sehr kontrolliert. Werden wieder einfach abgeschnallt. Reiten selbstständig an den Blumen des Todes vorbei. Bin sehr stolz auf uns!
Das war der momentane Statusbericht von unserer Mission: „Mein Pferd das Höllentier im Gelände wird zum Wanderreitpferd umerzogen“.Und weil ich Listen so mag, hier meine Tipps bezüglich das „Irre Pferd im Gelände“:
- Verstehe, dass dein Pferd nicht böse/wild/unkontrolliert sein will. Stress im Gelände ist für beide unlustig und keine böse Absicht.
- Versuche, alte Verhaltensmuster zu durchbrechen. In unserem Fall ist es das Aufschaukeln mit dem Bremsen über den Zügel. Aber es kann auch eine gewohnte Galoppstrecke sein, die die Situation eskalieren lässt oder schreckliche Dinge, die zum Fürchten sind.
- Lass dir helfen. Wie sagte Einstein einst so schön „Verrückt ist der, der immer die gleichen Dinge tut, aber andere Ergebnisse erwartet“. Manchmal brauchen einfach beide eine andere Sicht auf die Dinge. Bei mir war es der Satz: „Dein Pferd ist nicht übermäßig temperamentvoll, die hat einfach nur Stress“.
- Berge sind unsere Freunde. So eine Hügelbesteigung kann gerade bei etwas zu motivierten Pferden extrem heilsam sein. Kräfte muss man sich da nämlich auch mal einteilen, abgesehen davon ist es ein tolles Hinterhandtraining.
- Erwarte keine Perfektion, weder von dir noch deinem Pferd. Wir sind keine Maschinen und ein bisschen irre sind wir auch alle (schließlich sind wir Reiter).
Vielleicht erkennt sich der eine oder andere in unserer Geschichte und unseren Problemen wieder. Und wenn dem so ist, möchte ich dir sagen:
Aufgeben gibt’s nicht. Auch wenn es unmöglich scheint, gibt es für solche Dinge eine Lösung und manchmal sind sie so simpel wie ein Knotenhalfter.
Es mag sein, dass das Gürkchen und ich noch nicht am Ende des Weges angekommen sind, aber jetzt ganz ehrlich, das Leben wäre auch eschreckend langweilig wenn dem so wäre.
miia: Bin schrecklich neugierig, wie es weitergeht. So neugierig, dass ich Martina und Krafla am kommenden Wochenende in der Steiermark besuchen werde. Mal schauen, wie es den beiden so geht 🙂 !