Aber die Show nicht endet.
Martina hat sich vor einiger Zeit mit dem Thema Mondblindheit beschäftigt, erinnert ihr euch? Martina wäre nicht Martina, wenn sie nicht jemanden gefunden hätte, der von einem Leben mit einem mondblinden Pferd erzählen kann: Babsi Fischerauer und ihren Pipar nämlich. Hier geht es zu Martinas neuestem Beitrag:
Ich habe mich, dank miia, ausführlich mit dem Thema Mondblindheit auseinandergesetzt. Habe Diagnosen, Ursachen und Behandlungen erklärt bekommen und Publikationen dazu gelesen. Das war sehr lehrreich und sehr theoretisch. Und „theoretisch“ lag mir schon im Biologie Studium eher weniger (was ein wenig ungünstig ist, weil 90% des Studiums doch eher theoretischer Natur sind).
Ich war schon immer mehr der „Zieh – die – Gummistiefel – an – und – watschel – los – um – die – letzten – Feldhamster – am – Verteilerkreis – zu – finden – Typ“ (eine andere Geschichte aber nicht unwahr). Daher war es mir auch wichtig, praktisch etwas zu dem Thema Mondblindheit zu hören. Ich habe mich vor allem eines gefragt. Was ist, wenn wirklich alle Lichter ausgehen? Ist das ein Todesurteil? Kann Pferd damit leben? Wenn ja, wie gestaltet sich das?
Ich kann euch verraten, die Antwort auf diese Frage zu finden war nicht unbedingt einfach (ungefähr so wie die letzten Hamster am Verteilerkreis). Wenn es um Pferde mit einem erblindeten Auge geht hat man leider, in der Islandpferdewelt, schnell den einen oder anderen Erfahrungswert an der Hand bzw. kennt man selbst solch ein Pferd und weiß um deren Bedürfnisse Bescheid. Sie drehen den Kopf vielleicht mehr, um Dinge besser zu sehen, welche das erkrankte Auge nicht mehr wahrnehmen kann oder tun sich manchmal auf einer Seite etwas schwerer, sind vielleicht etwas steifer oder schief.
Aber ein völlig blindes Pferd ist mir dabei noch nie über den Weg gelaufen. Bis ich Babsi und Pipar kennengelernt habe. Pipar und das Gürkchen (aka meine Krafla) sind mittlerweile Nachbarn und ich sehe ihn regelmäßig fröhlich buckelnd auf seine Weide galoppieren oder zufrieden mampfend über die Wiese stapfen und noch immer kann ich kaum glauben, dass Pipar blind ist. So war es auch, als das Gürkchen noch nicht sein Nachbar war und ich Pipar zum ersten Mal sah.
Pipars und Babsis Geschichte durfte ich an einem verregneten April Nachmittag bei Kaffee und Schokobons lauschen. Wieso ich erst jetzt darüber berichte? Weil gerade die guten Geschichten unglaublich schwierig zu schreiben sind. Babsi hat das Gespräch mit den Worten: „Eigentlich ist das gar keine so tolle Geschichte“ begonnen und mich dann an keiner tollen, sondern an einer großartigen Geschichte teilhaben lassen, die ich jetzt mit euch teilen will.
Pipar ist eigentlich als Verkaufspferd in das Leben von Babsi getreten. Ich finde das Wort „eigentlich“ kennt jeder Pferdemensch: eigentlich wollte ich einen Wallach, eigentlich gefallen mir Rappen nicht, eigentlich sollte es auf keinen Fall ein Jungpferd sein … sowas endet dann meist mit einer ungerittenen Rappstute. Babsi und Pipar sollten da keine Ausnahme bilden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits nur noch ein funktionstüchtiges Auge und die Diagnose Mondblindheit war bekannt. Pipar sollte also in Aschau einen neuen Käufer finden. Allerdings war nicht geplant, dass das die Vermittlerin selbst sein sollte. „Er war einfach so lieb“, sagt Babsi und lächelt vor sich hin. „Einfach war er auch nicht gerade, aber ein tolles Pferd. Von dem Handicap, dass er nur auf einem Auge sieht, hat man nicht viel mitbekommen. Er war weder schreckhaft noch irgendwie schief. Man hat es eigentlich gar nicht gemerkt.“
Dennoch verlief die Vermittlung nur mittelmäßig und das eine oder andere Probereiten ging Zitat „in die Hose“, weil Pipar sich von der Tatsache, dass er nur auf einem Auge sehen kann nicht davon abhalten ließ, motiviert samt Reiter im rasanten Tempo vorwärts zu gehen (ohne das Einverständnis des Reiters vorher einzuholen versteht sich). Irgendwann landete Pipar dann im Hänger, weil ein potentieller Käufer ihn sich anschauen wollte und Pipar ihm quasi entgegen gefahren wurde. „Ich habe die ganze Autofahrt nur geheult, so traurig war ich. Und da hat mein Mann gesagt: „Es ist genug wir kaufen ihn und Schluss.“
Pipar war also gekommen um zu bleiben und aus seiner Fahrt in ein neues Zuhause wurde eine Spazierfahrt im Kreis. Die Tränen trockneten und die zwei wurden offiziell ein Team und haben den ein oder anderen Kurs und das südsteirische Hügelland unsicher gemacht. Aber dann kam der Tag, an dem das andere Auge begann Symptome zu zeigen.
Ein Tierarzt wurde gerufen, es wurde getropft, geschmiert, Masken getragen und dennoch wurde es nicht besser. Und dann kam der Morgen, an dem die Lichter für Pipar endgültig erloschen. „Ich bin am Morgen auf die Weide gegangen um die Pferde, die über Nacht draußen waren, rein zu holen. Da habe ich Pipar zitternd auf der Wiese stehen sehen. Zuerst dachte ich an einen Kreuzschlag oder etwas ähnliches, aber dann war schnell klar, Pipar hat in der Nacht sein Augenlicht verloren. Ich habe ihm gut zugeredet und ihn Schritt für Schritt die Wiese hinunter zum Stall begleitet. Er war bei jedem Tritt total unsicher, aber hat mir und meiner Stimme vertraut. Dabei hat er den gesamten Weg über meinen Arm gesucht und sich richtig an mir angehalten.“
Der Tierarzt bestätigte dann den Verdacht. Pipar war komplett erblindet.
Das könnte jetzt das Ende einer schönen, aber traurigen Geschichte sein. Könnte! Ist es aber nicht. Das Ende einer Geschichte schreibt man nämlich immer selbst. Und Babsi wollte Pipar nicht so einfach aufgeben. Und Pipar sich auch nicht.
Ob sie darüber nachgedacht hat, ihn zu erlösen? Ja natürlich, aber nicht ohne ihm eine Chance zu geben. Und Pipar wollte diese Chance, denn Pipar musste nicht erlöst werden. Pipar ist nämlich nur blind, nicht mehr und nicht weniger.
Als ich Pipar zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich, mir wird gerade das falsche Pferd gezeigt. Da steht kein gebrochenes Tier mit trüben Augen vor mir sondern ein hellwach dreinschauendes Pferd, das mir sofort die Nase entgegenstreckt. Als ich die ersten Fotos knipse, klickt es und Pipar sieht nicht was ich da mache. Er schnaubt kurz nervös und ich fühle mich schlecht. Also gehe ich ein paar Schritte weg und hocke mich in einiger Entfernung hin, um noch ein oder zwei schnelle Bilder zu machen, um ihn dann in Frieden zu lassen.
Und Pipar? Der spitzt die Ohren und stampft auf mich zu um riechend und tastend mich und die Kamera zu inspizieren. Spannend findet er das. Angst? Von wegen. Pipar ist voll dabei, schließlich wird man nicht alle Tage als Fotomodell „missbraucht“. Und wer weiß, vielleicht lässt sich ja auch was abstauben. Als dann die Türe Richtung Weide aufgeht wartet er, dass sein Freund Ellidi vorausgeht, danach lässt er es sich nicht nehmen, buckelnd in das satte Grün hinaus zu galoppieren.
Aber wie funktioniert das und war es einfach?
„Man muss seinen Weg finden und beide müssen lernen damit umzugehen“, berichtet Babsi. „Wir konnten ihn natürlich nicht in der Herde lassen und so traten zwei Ponies als neue Kumpel in sein Leben; Follow Me welcher ebenfalls auf einem Auge blind war und Herkules. Pipar hat sich an Follow Me orientiert und dieser an Herkules und zu dritt waren sie unschlagbar. Vor allem wenn sie die Zäune niedergemäht haben, um spontane Ausflüge zu unternehmen. Mit den Zäunen war das nämlich so eine Sache. Da Pipar nichts mehr sehen konnte, sind wir mit ihm immer die Grenze der Weide gemeinsam abgegangen und haben anfangs den Strom abgeschaltet. Das haben die Ponies natürlich ausgenutzt!“
Auf meine „Geritten bist du ihn da aber nicht mehr?“ Frage bekomme ich die überraschendste Antwort. „Doch sogar noch länger.“ „Aber nur im Viereck, oder?“ hake ich nach. „Nein auch im Gelände. Er hat mir vertraut und war sehr geschickt. Bei dem Kommando „Achtung!“ hat er die Nase auf den Boden gegeben und war besonders vorsichtig. Er hat sich durch seine Blindheit auch nicht seine Lauffreude nehmen lassen und wir sind das ein oder andere Mal auch flott durch die Landschaft galoppiert“.
Mittlerweile steht Pipar mit einem zweiten ehemaligen Deckhengst in einer Männer WG zusammen und findet sich und sein Leben ganz fantastisch. Seine Geschichte war einfach nicht zu Ende. Es hat nur ein neues Kapitel begonnen. Und das ist nicht weniger schön oder spannend als all die Kapitel davor. Zu guter Letzt frage ich Babsi noch, welchen Rat sie Menschen geben würde, die gerade vor einer ähnlichen Situation stehen wie sie damals.
„Erstmals nicht aufgeben! Man sollte sein Pferd gut beobachten und herausfinden, was ihm Sicherheit gibt. Das Gefühl sicher zu sein, ist gerade für ein Fluchttier wie das Pferd sehr wichtig, überhaupt wenn es blind ist. Im Idealfall sollte man sich schon bevor das Pferd vollständig erblindet darauf vorbereiten. Das heißt frühzeitig ein geeignetes Umfeld finden, welches das Pferd noch sehend kennenlernen und in dem es dann auch längerfristig bleiben kann auch wenn es blind ist. Genau das gleiche gilt für Koppelpartner. Wenn man rechtzeitig einen Freund findet, der dann später als Blindenführer fungieren kann, macht man es dem betroffenen Pferd leichter.
Aber immer gilt: jeder Mensch und jedes Pferd müssen ihren eigenen Weg finden. Hätte ich damals das Gefühl gehabt, Pipar kommt mit der Situation nicht zurecht, hätte ich mich auch für das Einschläfern entschieden. Man muss versuchen für sich und das Pferd die beste Lösung zu finden.“
Ich finde das ist ein fantastisches Schlusswort, daher lass ich das mal so stehen.
Ps: Fidel stellt erzürnt fest, dass er schon wieder mit keinem Wort in diesem Beitrag erwähnt wurde. Dieses Mal muss der super Schinkenknochen als Entschädigung herhalten.
Pps: Aufgrund der Tatsache, dass Pipars Augen fototechnisch einfach zu schön sind, darf ich Tindur mit dem Einverständnis seiner Besitzerin fotografieren. Tindur ist nicht nur mondblind auf einem Auge, sondern auch unglaublich entzückend. Und ich sage das jetzt nicht nur, weil er der Vollbruder vom Gürkchen ist. Auch Tindurs Geschichte ist noch lange nicht zu Ende. Ganz im Gegenteil, er ist nebenbei sogar auf der Suche nach einem neuen Zweibeiner.
Und ich bin mir sicher, dass auch er noch viele schöne Dinge erleben wird. Denn die Geschichten schreibt nicht nur das Leben, sondern auch wir selbst.