Delfine des Nordens

Nicht alle Menschen sind vom Glück gesegnet, in psychischer und körperlicher Gesundheit aufzuwachsen. Manchen Menschen gibt das Leben ein paar Herausforderungen mehr zu bewältigen als anderen. Pferde können in dieser Hinsicht Großartiges bewältigen. Es gibt verschiedene Arten, wie Pferde Menschen helfen können. Hippotherapie, Heilpädagogische Förderung, Ergotherapie, Integratives Reiten. Pferde wirken manchmal Wunder. Ich habe gelernt, dass sie deshalb „Delfine des Nordens“ genannt werden. Ein wunderschöner Vergleich, finde ich. Geschrieben hat ihn mir eine, die es wissen muss. Magdalena Bauer ist Sozialpädagogin und eine erfahrene Reitlehrerin. Zusätzlich hat sie sich, nach einer sehr langen Ausbildung, der Heilpädagogischen Förderung mit Pferd (HFP) verschrieben. Warum? Und was waren die schönsten Erlebnisse? Hier kommt das große miia-Interview. Alle verwendeten Fotos (Fotograf Daniel Lengauer) sind gestellte Szenen. 

Gestellte Szene_Würfel

miia: Was kann man sich unter dem Begriff „Heilpädagogische Förderung mit Pferd“ vorstellen?

Magdalena: Der Begriff ist sehr umfassend. Prinzipiell ist das eine der 4 Sparten die zur Kategorie des „therapeutischen Reitens“ zählen (dazu gehören laut dem österreichischen und auch dem deutschen Kuratorium für therapeutisches Reiten auch die Hippotherapie – die wohl bekannteste Form der therapeutischen Arbeit mit dem Pferd, die Ergotherapie mit Pferd, und Reiten als Sport für Menschen mit Beeinträchtigung, auch integratives Reiten genannt). Die HFP ist dabei eine sehr ganzheitliche Maßnahme, bei der das Leben und Erleben, das Verhalten und auch gewisse destruktive Verhaltensmuster, die Wahrnehmung, Persönlichkeitsentwicklung und des Befinden mit Hilfe von einem Therapiepferd beeinflusst werden. Pferde sind aufgrund ihrer Arteigenheiten sehr gut dafür geeignet und werden oft auch als die erreichbaren „Delfine des Nordens“ bezeichnet.

Gestellte Szene_Magdalena at work

miia: Wem kann damit geholfen werden?

Magdalena: Wie man vermutlich oben schon herauslesen kann, ist diese Arbeit zum Beispiel für Kinder mit sozialen Auffälligkeiten, Konzentrationsschwierigkeiten, Impulskontrollstörungen, Entwicklungsverzögerungen etc. sehr gut geeignet. Aber auch Jugendliche oder Erwachsene, die zum Beispiel Probleme mit Selbstwertgefühl oder Selbstbewusstsein haben, kann man mit Hilfe eines Pferdes extrem gut fördern und unterstützen. Man muss natürlich sehr auf Sicherheit achten und mit Ärzten Rücksprache halten, ob Kontraindikationen vorliegen.

Da man aber mit dem Pferd sehr individuell arbeiten kann, hat man extrem viele Möglichkeiten Menschen in ihrer individuellen Entwicklung zu fördern. Wichtig ist dabei auch, dass man seine eigenen Grenzen kennt. Ich bin beispielsweise vom Grundberuf her Sozialpädagogin, habe also relativ viel Erfahrung im Umgang mit (eventuell auch verhaltensoriginellen 🙂 ) Kindern. Mit diesem Klientel kann ich sehr gut umgehen, während mir persönlich (derzeit?!) die Arbeit mit psychisch beeinträchtigten Erwachsenen zu fordernd wäre. Jemand der von Grundberuf Psychologe oder Psychotherapeut ist, handhabt das sicher anders, und wieder anders wäre es wohl, wenn man von Grundberuf Sonderpädagoge ist.

Gestellte Szene_Magdalena und kids

miia: Welche Erfolge können damit erreicht werden?

Magdalena: So individuell die Arbeit ist, so individuell sind auch die Ziele und die Erfolge, die man zu erreichen versucht. Man könnte auch sagen – Der Weg ist das Ziel, und jede Auseinandersetzung mit dem Pferd und der Fachkraft, die ja auch eine (unbewusste) Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, der eigenen Persönlichkeit und dem eigenen Verhalten zum Ziel hat, ist schon ein kleiner Erfolg für sich. 

Gestellte Szene_Augen-Hand-Koordination

miia: Wie grenzt sich „Heilpädagogische Förderung mit Pferd“ von anderen therapeutischen oder medizinischen Richtungen ab?

Magdalena: Da geht es vor allem um die Grundberufe der durchführenden Fachkraft. Hippotherapie darf beispielsweise nur von Physiotherapeuten durchgeführt werden, die Ergotherapie mit Pferd nur von Ergotherapeuten, die Heilpädagogische Förderung mit Pferd nur von Personen mit pädagogischer oder psychologischer Grundausbildung. Alle diese Leute müssen also zuerst eine Grundausbildung haben, und machen dann bei anerkannten Ausbildungsträgern (Österreichisches Kuratorium für therapeutisches Reiten oder vergleichbare Institutionen in anderen Ländern) eine Zusatzausbildung. Das erscheint manchmal leider ein wenig undurchsichtig, gerade in der Heilpädagogischen Förderung mit Pferd, da einige verschiede Grundberufe anerkannt sind, die aber eigentlich sehr unterschiedlich sind. Das integrative Reiten ist übrigens eine rein sportliche Ausbildung – so ähnlich wie man einen Übungsleiter oder Instruktor für Islandpferde machen kann, kann man hier den Lehrwart für integratives Reiten ablegen. Hier geht es um den reinen sportlichen (hobbymäßigen) Unterricht für Menschen mit Beeinträchtigung.

Gestellte Szene

miia: Warum hast du dich diesem Thema verschrieben? Woher kommt dein Interesse?

Magdalena: Das Thema interessiert (und fasziniert) mich schon seit Jahren, schon lange bevor für mich auch nur annährend realistisch geworden ist, dass ich selbst in diesem Bereich tätig werden kann. Schon für meine Matura habe ich eine Arbeit zum Thema tiergestützte Psychotherapie geschrieben. Dann bin ich, nach meiner Matura, nach Oberösterreich auf den Islandpferdehof Lichtegg gekommen und habe dort in Inge Schlederer jemanden gefunden, der sämtliche  Vorhaben in diese Richtung meinerseits unglaublich unterstützt hat. Dass ich heute in diesem Bereich tätig sein kann, ist zu einem großen Teil auch dieser Unterstützung zu verdanken, nicht zuletzt durch die Offenheit, den Islandpferdehof Lichtegg einem solchen Angebot gegenüber zu öffnen (was, wie ich von einigen Kolleginnen meiner Ausbildung weiß, absolut nicht üblich ist). Und durch diese Offenheit und auch die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben haben, hat sich mein Interesse sozusagen verselbstständigt. 

Gestellte Szene_Aufwärmen

miia: Was war dein schönster Erfolg bisher in deiner heilpädagogischen Arbeit?

Magdalena: Da gibt es einige wirklich schöne Momente … Spontan fällt mir gerade eine Situation mit einem jungen, sehr lebhaften Mädchen ein, das oft sehr schwer in Kontakt treten kann. Wir haben eine Einheit abgehalten, bei der sie sich mit verschiedenen Materialien selbst einen Parcours aufbauen durfte. Nach der Einheit räumen wir dann gemeinsam auf. Das Pferd – sehr wohlerzogen 🙂 – stand in diesem Fall in der Mitte und hat unberührt zugesehen, bis zu dem Moment, als das Mädchen eine schweren Gegenstand aufheben wollte.

Sie hat gesagt: „Boah, ich kann nicht mehr“. In diesem Moment ist die Stute losmarschiert zu dem Mädchen und hat ihre Nase gegen den Springblock gedrückt. Fast hat es so ausgesehen, als würde sie mit anschieben wollen. Daraufhin hat sich das Mädchen umgedreht und ihr Pferd zum ersten Mal richtig umarmt und ihr einen Kuss auf die Nase gegeben. Die zwei sind dann gefühlt ewig einfach unbewegt dagestanden und haben diesen Kontakt genossen. Das war so ein unglaublich berührender Moment, weil man so etwas einfach nicht erzeugen kann. Das ist einfach so passiert und war ein Riesenfortschritt in der Beziehungsfähigkeit dieses Mädchens.

Gestellte Szene_Gemeinschaft erleben

Oder eine andere Situation war in der ersten Einheit mit einem Burschen, bei der die Mutter zugesehen hat. Sie hat nach der Einheit zu mir gesagt, dass sie ihn heute so lachen gesehen hat wie er sonst nie lacht, strahlend mit dem ganzen Gesicht von einem Ohr bis zum anderen.

Gestellte Szene_Zwiegespräch

Magdalena: Abgesehen davon ist diese Arbeit, egal ob mit Kindern oder Erwachsenen, auch egal ob mit sozialen Schwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten, ob mit körperlichen oder auch kognitiven Einschränkungen unglaublich fordernd und oft auch anstrengend (manchmal bin ich nach einer Einheit HFP gefühlt so erschöpft wie nach 5 Stunden Reitunterricht), aber unglaublich berührend, bewegend, faszinierend und erfüllend. Dass ich diesen Beruf habe, Menschen in ihrer Entwicklung so begleiten zu dürfen, sehe ich als unglaubliches Privileg und manchmal kann ich es fast nicht glauben, wie sich die Dinge in den letzten Jahren zusammengefügt haben, um zu diesem großen Ganzen zusammenzuwachsen.

Delfine des Nordens

miia: Danke liebe Magdalena für das Interview. Und die großartige und wichtige Arbeit, die du da leistest. 

ps.: Die auf den Fotos gezeigten Kinder sind keine betroffenen Kinder. Die Bilder wurden zu Erklärungszwecken gemacht und zeigen verschiedene Settings und Interventionsmöglichkeiten der HPF. Sie wurden miia von Magdalena Bauer zur Verfügung gestellt. Fotograf war Daniel Lengauer. Herzlichen Dank!

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