Während am Aspacherhof in Niederösterreich fieberhafte Vorbereitungen laufen für das erste Reitertreffen des Islandpferdeshop – Cups, möchte ich euch noch etwas anderes erzählen. Es war eine liebe Freundin von mir, die mir vor nicht allzu langer Zeit erzählt hat, sie würde sich selbst mit zwei weiteren lieben Reitkollegen ein Parelli ® -Wochenende mit dem eigenen Pferd gönnen. Interessant, hab ich mir gedacht. Eine ungefähre Ahnung hatte ich davon, was Parelli ® sein könnte. Ich dachte da an Horsemanship, an Bodenarbeit und an einen anderen Ansatz von Arbeit mit Pferden. Das war halt so mein Gefühl. Was ist Parelli ® aber wirklich? Woher kommt der Name und was ist das Besondere? Hmmm. Da war ich mal neugierig. Bodenarbeit könnte vielleicht das Verständnis meines Pferdes für meine bescheidenen Belange etwas schärfen … und genau um das alles herauszufinden hab ich meine Freunde besucht. Beim Parelli ® – Kurs auf der Fohlenweide in der Nähe von Hollabrunn in Niederösterreich, wo Martin Wimmer sein ganz persönliches Refugium hat. Es ist ein Ort, der Ruhe und Freundlichkeit ausstrahlt.
Als ich ankomme, ist gerade der zweite Kurstag im Gange. Ich parke mein Auto am Parkplatz und spaziere zu einem großen, alten, sehr schönen Steinhaus, an dessen Rückseite sich Stallungen und Paddocks befinden.
Dem Haus gegenüber befindet sich eine große, offene Halle, rund um die Gebäude findest du riesengroße Wiesen und Weiden. Ein Blick zu den Pferden verrät mir, dass hier Großpferde wohnen.
Unsere Isländer dürften wohl eher selten gesehene Gäste sein. Ich betrete das Haus durch die schöne Eingangstüre und sehe eine große, geschwungene Steintreppe, die mich ein bisschen an das alte Schloss Niederleis erinnert. Hinter der Tür, im Seminarraum, treffe ich gleich Martin. Er steht gut gelaunt und lachend vor mir, schenkt mir einen Kaffee ein und ist gleich bereit, mir eine Menge über die Parelli ® – Methode zu erzählen und mir meine neugierigen Fragen zu beantworten. Auch seine Frau Alexandra, die gemeinsame kleine Tochter Antonia und Martins Mutter Annemarie, die den gesamten Seminarbetrieb organisiert, darf ich kennenlernen.
Martin erklärt mir: „Parelli ® ist ein Name. Er stammt von einem Amerikaner, Pat Parelli. Parelli hat Pferde trainiert und herausgefunden, dass das Pferdetraining ohne den Menschen mit einzubeziehen nur von sehr kurzfristigem Erfolg ist. Er hat sich überlegt, wie man denn die Besitzer so trainieren könnte, dass sie einfach besser mit ihren Pferden zurecht kommen. Er wollte so an der Ursache arbeiten, damit viele Probleme erst gar nicht auftreten. Und so ist er eine Weile durch die Lande gezogen. Dann hat er seine Frau kennengelernt und hat mit ihrer Hilfe diese Idee in ein strukturiertes Programm gebracht. Parelli ® ist also eine Art Lernkonzept mit Struktur. Für alle Pferdemenschen, egal, ob sie eine Westernreithose oder einen Islandpullover tragen.“
Martin erzählt mir, er sei selber Turnierreiter gewesen und habe die Parelli ® – Methode für sich entdeckt. Nun unterrichte er seit bereits 14 Jahren nach diesem Konzept und finde es einfach faszinierend, den Lernweg von Reitern mit ihren Pferden zu beobachten.
„Diese Methode ist keine Neuerfindung, keine Insellösung. Der Unterschied ist nur der Betrachtungswinkel. Es wird beleuchtet, wie das Pferd das menschliche Verhalten wahrnimmt und was es daraus ableitet. Pferde haben alles in ihrer Genetik, was wir von ihnen wollen. Nur wenn ich sie bitte, es zu tun, tun sie es vielleicht nicht. Das heißt, ich muss wissen, wo die „Knöpfe“ der Pferde sind, damit sie mir das Verhalten geben, das ich von ihnen möchte. Die beste Hilfengebung ist noch kein Garant dafür, dass mein Pferd wirklich „funktioniert“. Ich muss wissen – wie formt sich so ein Verhalten? Wie denken Pferde? Wie funktionieren sie? Es geht um die Schulung des Menschen.“
„Nehmen wir zum Beispiel das Verladen eines Pferdes. Ich war selber auch tausend Mal in dieser Situation. Die willst wegfahren, gehst mit deinem Pferd zum Hänger und hoffst, dass es da jetzt reingeht. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Die eigene Ruhe und die Führungsqualität für das Tier zu behalten, das ist das Schwierigste an dieser Aufgabe.
miia: Was ist das größte Missverständnis zwischen Reitern und Pferden? Was machen wir Menschen am öftesten falsch?
Martin: „Wir machen gar nichts falsch … aber wir denken, wie Menschen denken. Wie wir eben sind. Wir sind direkt denkende Individuen. Wenn wir etwas wollen, dann wollen wir es. Wir kriegen dann so einen Jagdtunnelblick, der uns blind macht für Meilensteine, die zu diesem Weg hinführen. Wir denken, das MUSS einfach funktionieren. Auch in der Pädagogik ist das leider manchmal so. Dass vielleicht der eine den Weg und der anderen einen anderen geht, bedenken wir nicht. Viele Wege führen nach Rom. Welcher ist richtig, welcher ist falsch? Es obliegt nicht uns, das zu entscheiden. Wir geben hier auch nur unser Wissen weiter, was das Pferd gerade macht. Und das Spannende ist: Islandpferde im Speziellen sind jetzt nicht mein Fachgebiet, aber keine Variante der Reiterei kommt darum herum, irgendwie mit der Natur des Pferdes zu arbeiten.“
„Wenn die Leute hier bei einem Kurs ankommen und ihre Pferde ausladen, verrät mir das schon viel über sie. Man ist nervös, eh klar. Aber schon in dieser ersten Situation sieht man oft, wie ein Mensch seinen Plan verliert und planlos irgendetwas mit dem Pferd tut. Und dann erwartet man vom Pferd, dass es Dinge tut, die es nur tun würde, wenn es diesen Menschen als ranghöheres Wesen sehen würde. In so einer (planlosen) Situation kann es uns aber nicht als ranghöheres Wesen wahrnehmen. Da wäre ein Ansatzpunkt, dass ich mir schon bevor ich aus dem Auto aussteige die nächsten Schritte überlege. Und dann erst agiere. Wir sind oft planlose Aktionisten und reagieren. Und dann dem Pferd vermitteln zu wollen, dass wir eigentlich einen Plan haben, wird dann recht schwierig.“
miia: Also ist es wichtig, sich vor dem Holen des Pferdes von der Koppel zu sammeln und zu überlegen, wie die nächsten Schritte sind?
Martin: „Ja, das wirst du am Anfang machen müssen, vor allem wenn es um das Unbewusste geht. Am Anfang sind wir unbewusst inkompetent, wir wissen ja gar nicht, was wir alles nicht wissen. Das klärt sich aber bald. Man weiß recht bald, was man alles noch nicht weiß. Dann wird es eine bewusste Inkompetenz. Ich weiß, was ich nicht kann. Wenn ich mehr Wissen haben will, kann ich dann gezielt vorgehen. Im Laufe der Zeit wird es zu einer bewussten Kompetenz. Ich muss mich aber immer sehr stark konzentrieren. Es ist noch nicht so ganz in mir drin. Beim Auf – mich – Konzentrieren ist allerdings der Dialog mit dem Pferd sehr eingeschränkt. So geht es den meisten Teilnehmern nach einem zweitägigen Seminar bei mir. Sie lernen etwas, sie sehen es wirkt, aber sie haben es noch nicht verinnerlicht. Sie müssen nachdenken und sich konzentrieren.
Mit der Übung wird es dann aber eine unbewusste Kompetenz. Irgendwann brauchen wir darüber nicht mehr nachzudenken und dann erst haben wir die Möglichkeit, das Pferd zu lesen. Das Pferd sagt uns alles.
miia: Und das alles beginnt mit der Bodenarbeit?
Martin: „Ja! Mein Hauptproblem am Anfang war zum Beispiel, dass mein Pferd immer schneller geworden ist im Gelände. Und ich hatte Blasen an den Fingern. Das wollte ich nicht! Warum kann er nicht am losen Zügel gehen, hab ich mich gefragt. Ich hab Antworten gesucht, aber keine gefunden. Erst bei Pat Parelli hab ich einen Weg gesehen. Vom Boden aus ist es das gleiche Thema, wie wenn du oben sitzt. Nur dein Standort ist ein anderer. Von unten ist es aber leichter, die klare Sprache zu erlernen, als vom Rücken aus.“
miia: Und wenn dann die Angst dazu kommt, wenn man oben sitzt?
Martin: „Das kann passieren. Dann musst du den Bereich besser wählen, in dem du dich bewegst. Was würde das praktisch bedeuten? Das Pferd läuft beispielsweise immer im Gelände davon. Dann werde ich diese Dinge nicht im Gelände machen. Dann üb ich im Roundpen. Oder in der Halle. Das Raubtier in uns sagt einfach, spanne bei Gefahr deine Muskel so fest wie möglich an, das ist in unserer Genetik einfach so verankert. Bei einem Fluchttier ist das anders: Es will sich wegbewegen, Bewegung ist seine „Nummer – eins – Strategie“ für Sicherheit. Es wird nicht sicherer werden, wenn sich da oben immer wer anhält und verkrampft.
Das Pferd funktioniert so wie in einer Herde. Wenn das Leittier entspannt ist, sind alle Pferde entspannt. Schreckt sich ein rangniederes Tier in der Herde, macht unser Pferd vielleicht zwei Galoppsprünge, sucht in der Herde nach Informationen und die Energie bleibt unten, es passt sich an die Energie der Herde an. Schreckt sich ein ranghöheres Tier und rennt davon, dann wird die ganze Herde mitgehen.
Was hat das jetzt mit mir zu tun? Sobald ich das Pferd raushole aus seiner Herde, ist es mit mir, ich bin das einzige soziale Individuum, mit dem es zu tun hat. Das heißt, es wird auch hier versuchen, eine gewisse Rangordnung festzulegen. Was nichts mit einem Kampf zu tun hat. Das ist ganz wichtig. Es ist immer ein Spiel. Sobald ich etwas gegen mein Pferd mache, habe ich verloren und ich bin im Kampf. Das spricht gegen die Partnerschaft. Ich möchte 51 Prozent haben. Und ich suche das eine Prozent aus, bei dem das Pferd mir folgt. Zum Beispiel am Straßenrand. Ich sage, du bleibst hier stehen. Und es bleibt stehen. Nicht weil ich „voll bewaffnet“ bin, sondern weil das Pferd sagt: „Ja eh klar. Du kennst dich aus in dieser Welt. Ich bin ein Pferd, hier am Straßenrand ist es vernünftig, dass du mir zeigst, dass du dich auskennst.“
Man sieht das gut beim Pferdeführen. Wer sucht die Position des Pferdes aus? Geht es vor mir, hinter mir? Wo neben mir? Die meisten Pferde suchen sich selber diese Position aus und der Mensch akzeptiert sie. Weil er sich denkt, das geht ja eh. Das wäre in einer Herde aber anders. Da wird dem Pferd die Position gegeben. Der Abstand zum Menschen ist wichtig. Das heißt, ich muss meinem Pferd meinen persönlichen Raum zeigen und darf eine Verletzung des Raumes nicht akzeptieren. Wenn mir ein Pferd näher kommen möchte, muss es fragen.
Wenn wir die Kompetenz erwerben, unserem Pferd zu zeigen, dass wir Führungsqualitäten haben, dann kann sich die Rangordnung so verschieben, dass ein Pferd, wenn es sich schreckt (was immer mal passieren wird), fragt, was jetzt zu tun ist. Nicht „Ich renn und was du tust, ist mir wurscht“. In der Schrecksituation selber kann ich nichts mehr ändern. Bereits davor muss der Aufbau der Beziehung, der Partnerschaft und der Rangordnung geklappt haben. Das Pferd fragt sich: „Bist du was wert für mich? Bringst du mir etwas für mein Überleben oder nicht? Und je nachdem wird es zuhören oder nicht.“
miia: Wenn bereits Probleme da sind? Kann man die Partnerschaft überhaupt noch in die richtige Richtung bringen?
Martin: Wenn du willst schon. Ja. Das Verhalten des Pferdes richtet sich sehr stark nach dem Jetzt. Und wenn du JETZT dein Verhalten änderst, wird auch das Pferd jetzt sein Verhalten ändern. Es ist aber schwierig, etwas an sich selber zu verändern. Das hat etwas mit relativ viel initialem Aufwand zu tun. Das ist für mich nur der Wille. Jeder kann das. Pferde sind große Tiere und haben viel Kraft, sie haben aber auch ein tolles Gespür für die Energie, die wir ausstrahlen. Deshalb können auch Kinder mit Pferden umgehen. Es gibt aber sicher auch Konstellationen, wo es ein langwieriger Prozess ist. Und das muss man dann auch ganz ehrlich sagen und dem Menschen die Entscheidung überlassen, ob er es als sein persönliches Entwicklungspotential und als Projekt sehen will, für die nächsten 5 Jahre oder nicht. Ich glaub, es bringt Pferd und Reiter nichts, wenn die Frustration zu groß wird. Dann ist es auch eine Variante zu überlegen, ob man eine Beziehung beenden sollte.“
Gleich nach diesem spannenden Gespräch hat der interessante Theorie-Teil des Kurs begonnen. Ich durfte zuhören, wie Martin viele Fragen der Teilnehmenden beantwortet hat. Ich durfte sogar kurz ein Pferd sein und mal spüren, wie sich Druck anfühlt. Nach vielen spannenden Antworten ging es raus in die Halle. Die Teilnehmer haben versucht, das Gehörte mit ihren Pferden auszuprobieren. Martin ist von Pferd zu Pferd gegangen und hat sie unterstützt. Es war eine tolle neue Erfahrung für mich. Die klare Sprache der Pferde zu verstehen – sicher ein großer Vorteil, um Missverständnisse zu vermeiden.
Danke, Martin, dass ich dir mal zusehen durfte. Meine Spaziergänge mit meiner Náma haben sich seither übrigens verändert. Ich hab meinen Bereich … und sie ihren. Ein bissl erinnert mich das an dirty dancing … 🙂 !
ps.: Viele Fotos für diesen Beitrag wurden mir von Alexandra Patzal zu Verfügung gestellt. Ganz herzlichen Dank dafür!