Seit vielen Jahren unterrichte ich erwachsene Menschen. Ich bilde mich sehr gerne weiter und lerne gerne ein Stück mehr, auf welche Arten und Weisen ich denn meine Schüler noch besser unterrichten könnte. Und dazu schlüpfe ich gerne in die Rolle des Lernenden, um mal wieder zu spüren, wie es meinem Partner, den ich da vor mir habe, denn so geht, wenn ich ihm sage, er solle dieses und jenes tun. Ein Rollentausch ist gut und lehrreich und lässt mich immer wieder ein Stückchen wachsen.
Es ist nicht verwunderlich, dass mir dieser Vergleich mit meinen eigenen Schülern hier einfällt, wenn ich an mein Wochenende denke. Ich habe Samstag Nachmittag und Sonntag Vormittag bei Hestafólk am Forsthof verbracht, um eine für mich neue Methode, eine neue Denkweise kennenzulernen. Centered Riding ®. Darüber hab ich schon ein paar Menschen reden hören und konnte mir nichts darunter vorstellen, außer dass es wahrscheinlich etwas mit Zentriertheit und Geerdetsein zu tun hat. So ein bisschen was von Yoga und seine eigene Mitte finden. Und das alles auf dem Pferd. Das dachte ich mir jedenfalls. Die Referentin dieses Wochenendes war Roswitha Schreiber-Jetzinger und auf ihrer Homepage findet sich im Zusammenhang mit Centered Riding ® ein Spruch von Moshé Feldenkrais, der mir sehr gefällt: „Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst“. Weise Worte, die umgelegt aufs Reiten allerdings so manche Tücken aufweisen. Weiß man als Reiter immer was man tut? Meine weiterführende Frage wäre: Muss man es immer wissen oder sind die Intuition und das Gefühl auch sehr weise Ratgeber auf dem Rücken eines Pferdes?
Mit vielen Fragen in meinem Rucksack bin ich am Samstag Nachmittag zum Forsthof gefahren. Den zum Seminar gehörenden Vortrag am Vormittag hab ich leider verpasst und ich kam erst zur Gruppe dazu, als diese bereits in der Halle teilweise auf ihren Pferden saß, teilweise in der Mitte stand, um zu beobachten. Es wurde viel am Sitz gearbeitet, die Atmosphäre war überaus freundschaftlich und wertschätzend. Manche Teilnehmerinnen hab ich schon gekannt und ich hab mich sehr gefreut, sie wiederzusehen. Roswitha Schreiber-Jetzinger hat viel erklärt und den Reiterinnen dabei geholfen, ihren korrekten Sitz zu finden. Da gab es viele Bilder, die man in seinem Kopf haben konnte. Kate Winslet im Film Titanic ohne Leonardo als Gallionsfigur zum Beispiel und dann auf den Känguruhschwanz setzen zum Beispiel. Klingt sicher seltsam. Die Bilder helfen aber, seinen Körper in der gewünschten Art und Weise auszurichten. Die Reiterinnen wurden auf ihren Pferden von anderen geführt und sollten die Haltung ihrer Beine verändern. Mal die Zehenspitzen zum Pferd drehen, mal die Fersen ganz tief drücken. Und wenn man das beobachtet hat, dann hat man ganz deutlich gesehen, was für eine Auswirkung diese kleine Bewegung auf die Bewegung des Pferdes hatte. Beeindruckend beim Zusehen. Die Sensibilität dieser Tiere gibt wirklich zu denken. Sogar die Art und Weise, wie der Reiter in die Ferne schaut, hatte einen Einfluss auf das Tier. Fixiert der Reiter einen Punkt in der Halle und starrt ihn an, verhält sich das Pferd anders, als wenn man seinen Blick sanft schweifen lässt. Dann mal Luft anhalten! Selbst diese doch eigentlich unmerkliche Handlung hat Auswirkungen auf das Tier. (Wundert mich jetzt auch nicht mehr, dass Iris mich in Reitstunden immer ans Atmen erinnert 🙂 ). Da gab es wirklich Erstaunliches zu beobachten.
Darüber geredet haben wir aber erst am Sonntag Vormittag. In einem Seminarhotel, wo ich dann endlich auch bei einem Theorievortrag dabei war. Ihr stellt euch das langweilig vor?
Hihihi … weit gefehlt. Wir haben zu dritt Übungen auf zwei Trampolinen gemacht, eine die Reiterin, eine andere der Pferderücken, die dritte das Pferdemaul. Und all jene Dinge, die am Tag zuvor bei den Pferden sichtbar waren, waren plötzlich am eigenen Leib spürbar. Es fühlte sich in der Rolle des Pferdes einfach anders an, ob der Reiter seine Fersen rein oder rausgedreht hatte. Sogar das Luftanhalten des Reiters war ganz deutlich spürbar. Das war echt ein bisschen spooky.
Das für mich beeindruckendste war aber eine andere Übung. Wir saßen einander gegenüber, eine hielt eine Trense in beiden Händen, so, als wäre sie das Pferdemaul. Die andere saß gegenüber und hielt die Zügel in der Hand. „Das Pferdemaul“ gab durch Vorwärts und Rückwärtsbewegungen die Schrittbewegung vor, die ein Pferd mit dem Kopf vollführt. Der reitende Mensch sollte zunächst mit den Zügeln dieser Bewegung folgen. Und dann haben wir Halteparaden geübt. Durch die Vorstellung, du legst eine Kugel in deinem Bauch in einen Korb ab. Du senkst deinen Schwerpunkt, für das freie Auge ist das aber nicht sichtbar. „Das Pferdemaul“ hat sofort in dem Augenblick seine Bewegung beendet. Wahnsinn.
Dann kam die Aufgabe an das Pferd, nicht stehen zu bleiben, sondern trotz spürbaren Impulses „weiterzugehen“. Und an den Reiter erging die Aufgabe dann das zu machen, was wohl vielen Reitern passiert: An den Zügeln ziehen. Und dann solltet ihr mal ein Pferd sein. Da wird man super sauer! Und zieht zurück. Meine Partnerin und ich haben am Schluss immer gelacht, weil das dann ein bisschen wie Tauziehen ausgesehen hat. Wer ist stärker? Das funktioniert nicht. Roswitha hat uns dann aber auch gezeigt, wie man so eine Situation gut auflösen kann. Und vor allem konnte man als Pferdemaul spüren, wie sich eine andere Lösung anfühlt.
Ein Rollentausch ist immer gut. Spüren wie es dem Lebenwesen unter dir geht, wenn du nur Kleinigkeiten veränderst. Und da bin ich wieder ein Stück weit bei meinem Satz vom Beginn. Zu spüren, wie es dem anderen geht, ist unfassbar lehrreich. Und sich viele interessante Trainer anzuhören ebenfalls. Ich habe, was meine Schüler betrifft, immer das Bild von glücklichen Wanderern mit einem großen halbleeren Rucksack vor mir. Sie wandern mit einem klaren Ziel vor Augen. Jeder Lehrer, dem sie im Laufe ihrer Wanderung begegnen, wird ihnen etwas anbieten, das sie in ihren Rucksack packen könnten. Mein Schüler soll dann aber selbst entscheiden, ob er etwas auf den Weg mitnimmt oder eben auch nicht. Ich denke, auch beim Reiten gibt es viele verschiedene Ansichten und Methoden. Viele interessante und spannende Dinge. Mir gefällt es, mir diese Dinge anzuhören und einen Teil davon in meinen eigenen Rucksack zu packen. Die Zügelzieherfahrung und so manch andere Erfahrung aus diesem Seminar hab ich mir gut eingepackt. Danke Roswitha, danke Hestafólk!